Perimenopause: Die stille Revolution

Hier entsteht ein Becken. Ein Sammelbecken für Inhalte rund um das Thema (Peri-)Menopause. Gedanken, Erkenntnisse, Informationen, Ideen, Ab- und Ausschweifungen und alles dazwischen, was ich zu dem Thema aktuell recherchiere, lese und denke. Aus dem Becken fische ich später die Perlen heraus und fädle sie auf eine Kette, reihe Glied an Glied aneinander.

Das letzte Kapitel?

Gespannt blättere ich durch das Inhaltsverzeichnis in dem neuen gehypten Gyn-Buch. So viele Kapitel sind für mich nicht mehr relevant. Schwangerschaft? Been there. Geburt? Done that. Nächster Halt: Wechseljahre. Moment mal, was? Wechseljahre? Demnächst? OMG, ja, die 40 ist nicht mehr so weit weg und die Perimenopause beginnt dann durchaus demnächst. Früher oder später. Und das ist dann auch das letzte bedeutsame Wandel-Kapitel im Leben eines Menschen mit Uterus (den ich der Einfachheit halber ab sofort als Memu bezeichne - und damit sind explizit alle Personen mitgemeint, die es eben betrifft, ganz gleich ob Cis-Frau, Trans-Person oder nicht-binäre Person). Grund genug, mich diesem Thema eingehender zu widmen. Und es betrifft ja nicht nur mich.

Ein unsichtbares Massenphänomen

Es betrifft ca. die Hälfte der Menschheit. Und trotzdem sind die Wechseljahre eine Sache, die gefühlt unter einem grauen, dunstigen Schleier liegt. In meiner feministischen Insta-Bubble sieht das inzwischen anders aus: Real Talk von Influencerinnen über perimenopausales Bauchfett, das kommt, aber nicht mehr geht (Ja, trotz Sport. Ja, trotz gesunder Ernährung.). Aufklärungskanäle, die sich mit dem Zusammenspiel von Wechseljahren und Neurodivergenz beschäftigen, Frauen, die XXXXX. Und über die Insta-Blase hinaus haben es die Wechseljahre dieses Jahr sogar auf das Cover vom SPIEGEL geschafft (Ausgabe vom 24.05.2025). Es tut sich also was, slow and steady. Aber es ist noch längst nicht genug, wenn wir uns die Zahlen anschauen: Unter dem Hashtag #wirsind9millionen haben sich XXXX als Initiative zusammengeschlossen, um aufzuzeigen, dass XXXXXXxx. 2030 sind einer Prognose zufolge (QUELLE?) ca. 1 Milliarde Menschen weltweit in den Wechseljahren. Wie kann das Thema dann so ein Schattendasein fristen? Es ist wirklich absurd: Die Wechseljahre sind nicht Teil des Medizin-Grundstudiums. Okay, könnte man einwenden, das gehört doch schließlich auch eher in den speziellen Bereich der Gynäkologie. Ach ja? Wir kommen darauf an anderer Stelle nochmal zu sprechen, wenn es um die Symptome geht. Dann schauen wir stattdessen mal, wie es in der Gynäkologie aussieht. Surprise: nur unwesentlich besser, denn in der Facharztausbildung sind die Wechseljahre auch nur ein Randthema - im Gegensatz zur Geburtsheilkunde. Was absurd anmutet, wenn man bedenkt, was für eine kurze Phase Schwangerschaft und Geburt im Vergleich zur Perimenopause sind, die sich über viele, viele Jahre erstrecken können. Und gemessen an der Tatsache, dass die Wechseljahre ALLE Memus betrifft, Schwangerschaft und Geburt hingegen nicht, wäre es doppelt angemessen, den Wechseljahren in der gynäkologischen Ausbildung mehr Gewicht zu geben. Aber auch gesellschaftlich spiegelt sich das wider: Über Schwangerschaft und Geburt gibt es mittlerweile viel zu lesen. Und das sind Themen, mit denen man auch mit Müttern, Schwiegermüttern, Omas, Tanten und Co. innerhalb der Familie ins Gespräch kommt oder kommen kann. Aber die Wechseljahre? Wenn man selbst so weit ist, sind die eigenen Großmütter oft schon verstorben. Und die Mütter? Was haben die denn dazu bisher geteilt? Wenig bis gar nichts, würde ich mal sagen.

Wechsel, Wandel, Whatthefuck

Reden wir mal über Begriffe. Wechseljahre. Wer oder was wechselt da? Und von wo nach wo? Und ist man hinterher noch derselbe Mensch? Oder ist es eine Art Neugeburt? Dann doch lieber das manchmal bemühte Wort der Wandeljahre. Denn wandeln, das tut sich da ja unbestreitbar einiges. Vor allem sind es doch die Hormone, die abfallen und damit die Wechseljahre oft als eine umgekehrte Pubertät darstellen.

Pubertät reverse oder reloaded?

Perimenopause als Phase vor der Menopause. Die letzte große Wandelphase im Leben von Menschen mit Uterus. Das Pendant zur Pubertät, nur umgekehrt? Well, zumindest in Sachen Hormone. In der Pubertät nehmen Östrogen und Progesteron das Zepter in die Hand. In der Perimenopause sinkt beides ab, ehe die Hormone in der Postmenopause ihren Tiefstand wiedererreicht haben. Und gleichzeitig wird es den Wechseljahren nicht gerecht, sie als umgekehrte Pubertät zu bezeichnen. Vielleicht eher als zweite Pubertät, zumindest wenn wir uns ihr Potenzial auf seelischer Ebene anschauen. Die Pubertät als Zeit der Selbstermächtigung, dem mehr oder minder starken Aufbegehren gegen Autoritäten, dem Verbünden mit der eigenen Peer Group und dem Ausbalancieren zwischen Autonomie und Zugehörigkeit. Und genau hier liegt doch auch die Chance der Wechseljahre.

Von Herzrasen bis Knochenschwund

Vor allem sind es doch die Hormone, die abfallen.Und das, das haben wirklich nicht alle Ärzte auf dem Schirm. wie zum Beispiel in einer Reha-Klinik bei der Herzberatungsstunde auf zig Sachen eingegangen wurde ("Denken Sie daran, salzarm zu essen"), aber das Thema Hormone überhaupt keine Rolle spielte. Das blendet ja auch wieder einfach die Realität der Hälfte der Weltbevölkerung aus. Zack, bumm, unsichtbar. Gut für die Pharmaindustrie, die daran natürlich auch tüchtig verdienen kann. Mehr als an Cremes gegen vaginale Trockenheit und Nahrungsergänzungsmitteln. Und was genau passiert denn nun mit der Libido nach den Wechseljahren?

Das mit der Fruchtbarkeit und dem angeblich so krassen Gegensatz zur männlichen Reproduktionsfähigkeit ist natürlich auch ein dämlicher Mythos. Denn Menschen mit Penis bleiben auch nicht bis zum Sterbebett in vollem Saft stehen. Auch da gibt es Wandelphasen, wenn auch nicht so abrupt, sondern eher slow and steady. Andropause nennt sich diese Phase.

Vom Abstellgleis zur Überholspur

Miranda July lässt ihre Protagonistin in "Auf allen Vieren" ihre Freundinnen fragen, wie sie die Wechseljahre erlebt haben. Das Bild ist ein bunter Gemischtwarenladen. 


Für viele mögen sich die Wechseljahre auf den ersten Blick anfühlen wie ein Abstellgleis. Denn das ist es, was das Patriarchat insbesondere weiblich gelesenen Menschen gern erzählt: Sei jung. Sei fruchtbar. Sei sexuell (attr)aktiv und verfügbar. Sei vital. Sei eine Augenweide für den male gaze.

Aber was, wenn der männliche Blick einfach gar keine Rolle mehr spielt? Wenn es um wesentlichere Fragen geht als die nach XXXXX. Liegt darin nicht eine große feministische Freiheit?

Wie befreiend das sein kann, in der Phase zu landen, in der der male gaze nicht mehr entscheidend ist. Aber auch: wie definiert frau sich dann noch? Wenn Reproduktion nicht mehr möglich ist? Wenn sexuelle Attraktivität und Fruchtbarkeit nicht mehr aneinander gekoppelt sind? Oder waren sie das vielleicht ja sogar nie? Abstellgleis oder Überholspur? alles ist möglich, aber gesellschaftlich, nun ja. Schauspielerinnen jenseits der Wechseljahre gibt es nicht viele, zumindest nicht in der obersten, Oscar-verdächtigen Liga.  Ohnehin fallen sie in eine Phase, in der oft auch im Außen schon große Veränderungen stattfinden. Kinder, die ihre Elternhäuser und ihre Geburtsorte verlassen und ihre Eltern plötzlich zu Empty Nestern machen. Oder die gerade mitten in der Pubertät stecken und selbst viel Begleitung brauchen. Das verlangt ohnehin schon viel ab, verlangt Ressourcen. Und dann ist da noch der Wirbelsturm an Hormonen,der mit allerhand Begleiterscheinungen einhergeht, die sich wie ein Entwurzeln im Orkan anfühlen können, aber nicht müssen

Banden bilden. Mit den Freundinnen sprechen. Die Männer ins Boot holen, sie teilhaben lassen. Educaten sollen sie sich selbst. 

Und auch ein enormes Potenzial zur Selbstverwirklichung und -ermächtigung? Die Wechseljahre fallen in eine Lebensphase von Mutus, in denen oft ohnehin Übergänge anstehen. Häufig befinden sich Kinder, sofern es welche gibt, in dieser Zeit selbst gerade in ihrer pubertären Wandelphase oder sind schon aus dem Gröbsten, ja vielleicht sogar schon aus dem Haus raus. Neue Möglichkeiten eröffnen sich, wenn Care-Arbeit nicht mehr im Fokus steht. Jetzt in die zeitintensive Weiterbildung investieren? Den Wohnort wechseln? Selbstständig machen? Ein, zwei oder drei neue Hobbys beginnen? Die Erfüllung der Bedürfnisse in Beziehungen kritisch unter die Lupe nehmen? Über ein Sabbatical nachdenken? All das ist in dieser Zeit für viele Memus zum ersten Mal nach vielen Jahren bis Jahrzehnten möglich. Und auch ohne Kinder sind die Wechseljahre eine Chance, das eigene Leben bewusster, beherzter und kühner zu gestalten. Bullshit weniger zu tolerieren, sei es im Job oder privat, die eigene Stimme zu erheben und sich selbst in der Prioritätenliste auf Platz 1 zu setzen. Nicht als hedonistischen Akt, sondern als radikale Selbstfürsorge. Denn was sonst sollte uns gut durch diese stürmische Zeit bringen, in der der Körper sich in einer so massiven Zeit des Wandels befindet, wenn nicht Selbstfürsorge? Und damit meine ich keine teuren Wellbeing-Versprechen im kapitalistischen Schafspelz, sondern vor allem das, was Svenja Gräfen in ihrem Buch “Radikale Selbstfürsorge” als XXXXXbeschreibt.

Nicht nur Menschen können in die Wechseljahre kommen, sondern auch andere Spezies. Konkret sind das Schimpansen, Orcas, Narwale, Belugas, Kurzflossen-Grindwale und Kleine Schwertwale. Bemerkenswert ist dabei unter anderem folgendes: Orca-Kühe schützen nach den Wechseljahren junge männliche Orcas vor Aggressionen. Junge Männer, die von deutlich älteren Frauen lernen? Hell, yes!

Und wenn es soweit ist, dann setze ich den Blinker und ziehe scharf nach links raus.

Material

Stefanie de Velasco

Miranda July

Sheila de Liz

Miriam Stein

SPIEGEL Ausgabe