Lückenlyrik

Ein digitales Literaturprojekt

In einer Nachricht fragte ich Schreibmonats-Gefährten Pierre Horn: “Pierre, ich mochte deinen Textauszug von heute Morgen, magst du den nochmal mit mir teilen?” “Der ist zum Glück das erste Fragment in dem Buch, das ich dir schicken werde.” “Ach, na perfekt!”

Ca. 30 Stunden später: Pierres Buch mit dem Titel “Du weißt nichts von dir und das lässt dich schimmern” (eine ausführliche Rezension folgt noch!) aus dem Briefkasten befreit, kurz reinlesen wollen, darin versunken und auf Seite 98 zum ersten Mal wieder aufgetaucht. So viele schöne Wörter und Sätze flogen mir da entgegen, die mich kreativ im Hinterkopf kitzelten und dazu animierten, dem Text spielerisch zu begegnen. Also spontan ein Foto gemacht, digital ein Blackout Poem “geschrieben” (sprich Wörter geschwärzt, bis die übrigen Wörter einen eigenen Text ergeben haben). Und gleich noch eins. Beide habe ich an Pierre rübergeschickt und meinte dabei halb im Scherz, dass ich am liebsten das gesamte Buch auf diese Weise als Material nutzen wolle. Es folgte ein Ideengewitter und zack, plötzlich stand es: Das Projekt “Lückenlyrik”. Pierre Horns Buch als Grundlage für meine-seine Gedichte.

Das Buch (das übrigens per Email bestellbar ist) hat 185 Textseiten. Das heißt also: 185 Blackout Poems warten auf ihre Entstehung – und zwar häppchenweise: Pro Tag wird sich ab sofort mit digitaler Schwärze ein Gedicht aus einer einzelnen Seite erheben. Sicher nicht an jedem Tag (weil manchmal eben auch das Leben dazwischenkommt), aber in großer Regelmäßigkeit. Unkommentiert, mit Datum und Seitenzahl versehen. Die Seiten dürfen dabei wild durcheinander wirbeln, bis schließlich jede Seite einmal ver-dichtet wurde.

Pierre und ich freuen uns wie irre auf dieses lyrische Experiment und wünschen viel Vergnügen bei der Lektüre der Lückenlyrik in den kommenden Monaten!

1 | 10.04.24, S. 63

Im Einklang der Amseln
zur Stunde der Fledermäuse
miteinander zu träumen
bleibt ganz leicht

2 | 11.04.24, S. 41

Durchlässig sein:
Panzer nicht
festhalten
mit Ruhe
Unverfängliches im
Überfluss abwerfen

3 | 12.04.24, S. 115

Arbeitsattacken als
gnomenhafter
garstiger Versuch
voraus zu
sein

4 | 13.04.24, S. 138

Miteinander ein
Gegenüber
geschenkt

innerlich gleiten
Erwiderungen
der Vergangenheit

5 | 14.04.24, S. 102

Landschaft meiner
Kindheit beherbergt
Kiefern

Fluchtrouten
von hoher
Unverortbarkeit

6 | 15.04.24, S. 13

Wunsch
in zivilisatorische
Energie zu
purzeln

dazu Negroni

in Wogen
Freundschaft in
Körper kippen

7 | 16.04.24, S. 28

Tintentropfen im
Kamerakorpus

Kondensspuren
durchziehen Umrisse
der Blütenstauden

8 | 17.04.24, S. 67

Chronische
Erleichterungserscheinungen

Eichhörnchen
durchstreifen
Kreuzberg

Stadttiergeschall
will Poesie
verströmen

9 | 18.04.24, S. 142

Ein Glas Rätsel
ich nippte
nippte nochmal
wartete

flüsterte
alles, was mich
unterstützte
hatte
einen Platz

10 | 19.04.24, S. 87

Nuancen sichern
Augenblicke
vereinen
Innen- und Außenwelt

Handfläche ist
Anschlussstelle
füreinander
fassbar

11 | 20.04.24, S. 69

Es gab
Zeichen

alles Nichtige
neben dem
Verschwenderischen

12 | 21.04.24, S. 41

Durchlässig
schillernder
Panzer

Ruhe gefunden
vor
Walnussbaum

Überfluss
dringt
nicht hinüber

13 | 22.04.24, S. 120

Pausenlos
offen bleiben

Winter
auflösen

Liebe
erliegen

Jeden Tag
leben

14 | 23.04.24, S. 62

Bärlauchgeruch
auf Schuhwerk
Leben
war eingebrochen

den Schmerz
benennen
das Unbegreifbare
in Wort gebannte
Gefahr

15 | 24.04.24, S. 94

Jagen Stengelblumen
Blüten

Nachtkerze
fügt sich
in Geflecht
wuchert in
andere Dimension

16 | 25.04.24, S. 21

Erträumen unsere
Begegnung

schreiben von
Begeisterung
durchtränkt

planen miteinander
leichthin
wollen
Erfahrungen
ausfüllen

17 | 26.04.24, S. 95

Station Spreeufer

Libelle
strauchelte in
Kreisen
wild

auf dem
Rückweg
menschhohe Blätter
wie ein
Eingang

ein Kreis
schloss sich

18 | 27.04.24, S. 121

Fußgänger
bemühen sich
und erscheinen

Schreiwoge auf
Demonstration

19 | 28.04.24, S. 35

Ida sucht
Anschluss an
Freiheit

20 | 29.04.24. S. 137

Das Leben
nur
Geflecht aus
Kräften
Überwindung
Wiederholungen

sich nicht
verlieren

21 | 30.04.24, S. 97

Weniger
im Netz
posieren

Angst
krabbelt aus
Kopf

mit sich
ausstreckenden Fühlern
weckte sie
alles

22| 01.05.24, S. 100

Irgendwann
in Befreiung
neugierig
berühren

Bett mit
Staub und
Katze teilen

mit Sprüngen
den Zugang in
wilderes
Leben genossen

gestalten
ausufern
suchen

23 | 02.05.24, S. 32

Ankündigungen
fordern
Engagement

im Kiez
heimlich Anarchie
entzünden

große Ansammlung
an Steinen
schlug
ins Abendlicht

24 | 03.05.24, S. 146

Zufälle
langsam entfernen

schreiben uns
hinein in
Ritual

entkommen
Abgrenzung
im Halbschlaf

25 | 04.05.24, S. 15

Der Begeisterung
eine Wohnung
beziehen

brauchen Möglichkeiten
ausschweifend
abzuweichen

lauthals singen
tanzen
aufschäumen

26 | 05.05.24, S. 25

Ein Kätzchen
erkundet
Möglichkeiten

es döst auf
meinem roten
Teppich über
Stunden
fest

27 | 06.05.24, S. 17

Bier und
Pizza im Park

Körper
Körperlichkeit

Körper
Körperbewusstsein

Bewusstsein
selbstbewusst

28 | 07.05.24, S. 66

Mit der
linken Hand den
Bart umschließen

Bis zum
Kinn über
Wasser

Soldaten
scherzen auf
Stühlen

29 | 08.05.24, S. 24

Verbindungen mit
Welt
versterben
verschwenden
verschwinden

der Wunsch
sich frei zu
bewegen
versorgt die
inneren Dämonen

Eingemauertwerden in
Innenschau
gelingt

30 | 09.05.24, S. 45

In diesem Sommer
spielen

Fantasie
verwandeln
miteinander
verabreden

Ruf nach
Liebe und
Licht

Halt finden
angelehnt im Hier
ankommen
in mir

31 | 10.05.24, S. 99

Die Fliege
verirrt sich
im
Aschekuss meiner
Dämonen

32 | 11.05.24, S. 33

Pflanzen
unter Buchen
erzählte Zeit

schmelzen
unter Mandelbaumblätterdach
die Haltlosigkeit

33 | 12.05.24, S. 47

Die Vögel rufen
sobald die alte
Stimmgabel mit
Impuls
zu schwingen beginnt

eine Ameise
verschwand in
ihren Gedanken

34 | 13.05.24, S. 131

Morgens grüßen
Busfahrer starr im
Stadtbild, manche
steigen aus
es gleicht einem
Durchlauf

effort, over and
over, every day

nachmittags erscheinen
die Schattenträger auf
der anderen Uferseite

nachts fehlt
Schlaf

35 | 14.05.24, S. 62

Handschriftlich annähern
das Ansetzen und Absetzen

Mal nichts tun
sich im
Leben versenken
Euphorie beim
Schreiben
Träumen beim
Schreiben
beschreiben im Traum

Texte kommen langsam
ans Licht

36 | 15.05.24, S. 132

Jede*r durchstreift aufrecht
Eingang zum
Empfinden

Begegnungen in
der Unmittelbarkeit
wirksam

im Rohbau ganz
werden

das Zusammensein verrät
den Unterschied zwischen
Zuneigung und
Liebe

37 | 16.05.24, S. 166

Sie neben
mir
sie lehnte ab
sagte:

eigentlich will ich
und eigentlich
langweilt mich
alles was
kommt

erschrak vor
der Leichtfertigkeit

begann sämtliche
Notizen auf dem
Handy
durchzugehen
durchkämmte
das Telefon

über mich
selbst wundern
dass ich ihre
Implikationen
übersah

38 | 17.05.24, S. 116

painting taught
me to deconstructe
life

the best
things lead up
to other ones
against
all odds

the outcome
can be
deconstructed as
it produces
resonance

don’t confuse
knowledge with
your abilities

act
don’t care
focus
take a break
listen
love
while you still can

39 | 18.05.24, S. 9

Im Dialog rumort
die Endlichkeit zu
den Sprachen der
Welt

ein offenes
Notizbuch für
schlechte Gewohnheiten
eine angerostete
Bialettikaffeekanne neben
zwei alten
Kaffeemühlen

jeden Morgen
vergilbte Vorhänge - die
oberen Fenster
offenstehend

in der Wohnung
neben dir
einschlafen
ein paar Stunden

40 | 19.05.24, S. 9

Das Leben riecht
nach Druckerschwärze

wir könnten
jederzeit alle
anderen umgehen

eine Frau
flirtet mit einem
Geschöpf
es gefällt

41 | 20.05.24, S. 76

Im Traumreich
erkenne ich dich
nicht

mein Gefühl
überwinden

zuhause die
Angst vor dem
Ungetanen für
eine Weile
verloren

wie klingt
Andromedarnebel?

42 | 21.05.24, S. 131

Deine Bücher
auf meinem
Sofa

erinnert mich daran
dass ich nichts
weiß

43 | 22.05.24, S. 49

Von Anfang an
wiederholte sich
was in dir
steckte
was dich
interessierte und
auch heute noch
beschäftigt

Faszination für
alles, wie es
lebt
fühlt und
träumen mag

Fragen auf Papier:
wer was und wie

die Angst
wurde weniger
du krankst nicht
länger daran

44 | 23.05.24, S. 148

spielen
verwandeln
Liebe zum
Material in beiden
Sprachen

Bühne
bleibt offen
Menschen
lieben
umfassend und
innig

der Körper
verankert
das Herz im
Zusammenspiel mit
Armen und
Händen

45 | 24.05.24, S. 26

All das
an Ereignissen
Begegnungen
Verhältnissen
fassen

Wege von sämtlichen
Fachsprachen der
Reue beseitigen

durch das Schreiben
den Schmerz ohne
mich zu schonen
nachzeichnen

die Freiheit bleibt
ein Versuch

46 | 25.05.24, S. 118

Den Himmel
betrachten
sich die Zeit
nehmen hinein
zu spüren

das Leuchten
des letzten Lichts
aufbewahren für
Zuhause

in den Nächten
möchte der Himmel
mein Meer sein

47 | 26.05.24, S. 181

hunderte Gänse
gleiten unter
verhallenden Schreien
über die Heide
ins Umland

eine innere Sprecherstimme
kommentiert Einsamkeitslust

am Abend
die Tageslichteinheiten
streifen

unter einer Mütze
versteckt
träumen
umkreisen
vermissen

48 | 27.05.24, S. 173

Für dich
alles empfinden

im Stellungsspiel
ein Geflecht der
Zonen

Stimme eines
Körpers
vermeldet in
einer Mainacht

49 | 28.05.24, S. 188

An einem Morgen
dämmert ein
Bildschirm im
Schlafmodus

an einem Tisch
warten Fliegen

dazwischen Enthauptung
der Klischees

die Schreie der
Gänse verlangen
deinen Namen

50 | 29.05.24, S. 39

Hatte ein paar
wichtige Dinge
verstanden wie
nie zuvor

das beziehungsverstrickte
Ich gerät an
seinem Fundament ins
Wanken, um zu
verarbeiten

an einem inneren
Kompass überprüfte
ich Gedanken und
Emotionen

mein Wissen
der Dinge
wie befreiend

51 | 30.05.24, S. 54

Du
liebst nach

52 | 31.05.24, S. 167

53 | 01.06.24, S. 55

Die Übersetzung ins
Unbewusste fest
ummanteln

luzide träumen

Schwarzweißfilm
im Dunkeln

im Hellen
ein Schauspiel über
die Bedeutung nach
dem Tod

54 | 02.06.24, S. 14

Zwischen Tages- und
Nachtzeit hinein in
Gespräch über den
Geruch von
Wind

sind zufrieden mit
allem

miteinander
nebeneinander
erwachen
bleiben
Leben markieren

55 | 03.06.24, S. 112

Studieren
der Gegenwart

beobachte mit
Interesse die
Verlagerung des
Interesses nach
einem Treffen

trage schwer an
den Dingen

das Gebiet
durchströmend
drawn into
progress

Archivierung an
Abdrücken
heraus bricht
die Ohnmacht

56 | 04.06.24, S. 83

Das Ganze
zerstückt
ein Ausschnitt im
Zusammenhang

seh dich
nicht mehr
leben
nicht mehr

Sommer legt
sich nieder
im Winter
lagert Nähe

57 | 05.06.24, S. 91

Das Flüchtige
im Wort der Nacht
mitgenommen

wiedergewonnene Zuneigung
mit dem Blick
entlang fahren

es roch nach
Cremes, Deos und
ihrem Höhepunkt

lassen uns treiben
mit Ausblick auf
das, was wird