“Katja” von Brigitte Reimann: Erzählungen über Frauen

Denke ich an Persönlichkeiten aus meiner Heimatstadt, so sind es exakt drei, die mir dabei in den Sinn kommen: Gerhard „Gundi“ Gundermann, Konrad Zuse und Brigitte Reimann. Seit meiner Jugend zieht es mich literarisch immer wieder zu der Frau zurück, die von 1960-1968 in Hoyerswerda gelebt hat. Insbesondere ihre Tagebücher sowie die verschiedenen Briefwechsel (bspw. mit Siegfried Pitschmann und Hermann Henselmann) bewegen mich bis heute in ihrer Intensität. Bewegt war auch das Leben Brigitte Reimanns. Schon seit ihrer Jugend wollte sie Schriftstellerin werden, hat sich im Literaturbetrieb der DDR behauptet, über ihren Körper frei entschieden, Schicksalsschläge erlitten, leidenschaftlich geliebt, ihre Ziele mit eifrigem Willen und einer gehörigen Portion Rebellion verfolgt und ist schließlich 1973 an Krebs gestorben. Was für eine kluge, charakterstarke, eigensinnige, unabhängige, rebellische und unerbittliche Frau!

Reimanns Gedanken rund um Themen wie Beruf, Karriere und das Frau-Sein in der (sozialistischen) Gesellschaft haben wenig an Aktualität eingebüßt. Davon zeugt die Sammlung an Texten, die unter dem Titel „Katja“ vor Kurzem im Aufbau-Verlag erschienen sind. Das Buch enthält acht bisher unveröffentlichte Erzählungen und ein Laienspiel in drei Aufzügen. Das umfangreiche Nachwort liefert der Herausgeber: Literaturwissenschaftler Carsten Gansel, aus dessen Feder mehrere Werke über Brigitte Reimann stammen, darunter die Biografie „Ich bin so gierig nach Leben“ (2023, Aufbau-Verlag).

Wir lernen im Laufe des Buches verschiedene Frauen kennen: neben der titelgebenden Protagonistin Katja sind es bspw. Karla, Maria und Susann, die unsere Wege kreuzen. Groß sind die Themen, die in den Erzählungen aufgemacht werden: es geht unter anderem um sexuelle Aufklärung und Abtreibung bei Minderjährigen (Karla, “Reifeprüfung”), Zivilcourage in Zeiten des Antisemitismus (Susann, “Ein Stern fällt aus der Nacht”), die Frage danach, ob und wie Karriere und Ehe parallel existieren können/sollen/dürfen (“Katja”) und um weibliches Begehren (Maria, “Ich werde in dieser Nacht allein sein”). Die Reimann‘sche Haltung wird in jeder einzelnen Erzählung deutlich: Hier schreibt eine Frau, die ihre Stimme für die Gleichberechtigung erhebt. Und das bereits Anfang der Fünfziger! So lässt sie Katja bspw. mit ihrem Verlobten diskutieren, der vehement dagegen ist, dass sie ihr Studium der Theaterwissenschaften nach der Hochzeit weiterführt (S. 82/83):

Es ginge ja gar nicht um materielle Vorteile, unterbrach sie ihn, sondern lediglich darum, dass sie nun einmal besessen sein von ihrem Beruf, dass sie das Theater liebe und dass sie es einfach nicht befriedige, ihr Leben auszufüllen mit Haushaltssorgen und Mutterpflichten.

Die höchste Aufgabe der Frau wäre es aber, ihrem Gatten und ihren Kindern zu leben, gab er zur Antwort, wogegen sie heftig behauptete, dies sei eine Ansicht vergangener Zeiten und nicht zu vereinbaren mit der Gleichberechtigung der Frau.

Mal begleiten wir die einzelnen Frauen über mehrere Monate hinweg, mal spähen wir nur für einen Abend wie durchs Schlüsselloch in ihr Leben und bekommen einen kleinen Ausschnitt ihres Alltags, ihrer Sorgen, aber auch ihrer Hoffnungen, Träume und Ideale zu sehen. Wir begegnen ihnen auf dem Schulhof, am Strand, in ihren eigenen und in fremden Betten, in Häusern und in Plattenbauten. Wir treffen ihre Liebhaber, Ehemänner und Weggefährten. Viele der Frauen werden als körperlich fragil, blassnasig oder erschöpft gezeichnet; charakterlich sind sie dafür umso wacher und zäher. Vereinzelte Erzählungen haben einen fast schon märchenhaft anmutenden Ton, manche sind sprachlich schlichter, andere von einer enormen literarischen Wucht. Allesamt klingen sie lange nach.

Das Nachwort von Carsten Gansel ist dabei ebenso lesenswert wie die Erzählungen selbst. Jeder der neun Texte wird vom Herausgeber fundiert in die Biografie Reimanns eingeordnet und ermöglicht es durch detaillierten Kontext, Autobiografisches herauszulesen. Alle Texte wirken jedoch gleichermaßen auch für sich.   

Brigitte Reimanns Frauen sind häufig auf der Suche: nach Zuwendung, nach Autonomie, nach Selbstverwirklichung – und nach ihren eigenen Wegen. „Katja“ ist ein Buch, das Mut macht, diese Wege nicht nur zu suchen, sondern selbst zu formen. Beherzt, mit Leidenschaft und Rückgrat. Wenn nicht jetzt, wann dann?  

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